Tote Wähler, keine Ausweiskontrollen – grobe Fehler bei der Bundestagswahl
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Marcel Luthe ficht das Bundestagswahlergebnis an – seine Kritikpunkte sind zahlreich. Der Berliner Zeitung liegt die Beschwerde exklusiv vor.

Am Mittwoch läuft die Frist für Einsprüche gegen das Ergebnis der Bundestagswahl am 23. Februar ab. Nicht nur das knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) reichte Beschwerde beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags ein.
Auch Marcel Luthe, ehemaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und derzeit Vorsitzender der Good-Governance-Gewerkschaft, hat einen ausführlichen Einspruch vorgelegt.
Das etwa 80-seitige Dokument, dem mehr als 200 Seiten Anlagen mit Belegen beigefügt sind, erklärt ausführlich, wo Luthe die Mängel des Ablaufs der Bundestagswahl sieht und inwiefern diese das Ergebnis der Wahl entscheidend beeinflusst haben könnten. Die Berliner Zeitung konnte das Dokument exklusiv einsehen.
Marcel Luthe vermutet planmäßige Sabotage der Bundestagswahl

In der Beschwerde kritisiert Luthe „vermeidbare Wahlfehler“, die „insgesamt zu einer anderen Zusammensetzung des 21. Deutschen Bundestages geführt haben, als es dem Willen des Souveräns entspricht“.
Er bezieht das an anderer Stelle explizit auf das BSW, dem für einen Einzug in den Bundestag lediglich knapp 10.000 Stimmen fehlten und dessen Repräsentation im Parlament die Mehrheit für eine schwarz-rote Koalition verhindern würde.
Eine Vielzahl der von Luthe angeführten Argumente für seinen Einspruch beziehen sich auf die Schwierigkeiten von Auslandsdeutschen, an der Bundestagswahl teilzunehmen. Er und seine Gewerkschaften sammelten etwa zahlreiche Beschwerden von Auslandsdeutschen, deren Wahlunterlagen nicht rechtzeitig ankamen und die deswegen nicht an der Bundestagswahl teilnehmen konnten.
Marcel Luthe bezeichnete in einer Ankündigung auf der Plattform X die Bundestagswahl als „Farce einer Wahl“. Sie sei „bewusst und planmäßig so sabotiert worden“, dass „insbesondere die Auslandsdeutschen, die üblicherweise nicht die Regierungsparteien wählen, möglichst nicht wirksam wählen konnten“.
Auch die fehlende Barrierefreiheit von Wahllokalen, das Durchsickern von „Exit Polls“ durch Journalisten am Wahltag, die das Ergebnis beeinflusst haben könnten, und die Existenz der Fünf-Prozent-Hürde an sich stehen im Fokus von Luthes Beschwerde.
Ohne Ausweis wählen gehen? „Ermöglicht erheblichen Missbrauch“
Ebenfalls bemerkenswert sind Luthes Ausführungen zu fehlenden Kontrollen von Identifikationsdokumenten in Wahllokalen. Seiner Interpretation der Bundeswahlordnung zufolge müssten Wähler in den meisten Fällen mithilfe ihres amtlichen Lichtbildausweises ihre Identität nachweisen, damit keine unberechtigten Personen wählen können.
Die Wahlbenachrichtigung selbst, die Luthe ein Schreiben „ohne jedwedes fälschungssicheres Merkmal“ nennt, reiche nicht aus.
Allerdings hat etwa die Stadt Stuttgart diesen Prozess offenbar selbst unterlaufen. Der Beschwerde zufolge hat sie in einem Schreiben die Wahlvorstände dazu aufgefordert, Wählende mit „Wahlbenachrichtigung nur in Zweifelsfällen durch einen Ausweis“ zu kontrollieren. In einem Merkblatt für Wahlvorstände schrieb die Stadt sogar, im Falle einer vorliegenden Wahlbenachrichtigung reiche diese „in der Regel“ aus.
Geht es nach Marcel Luthe, widerspricht dies dem Grundsatz der Höchstpersönlichkeit der Wahl. Er ermögliche einen „erheblichen Missbrauch“. Angesichts der 65.000 Urnenwahllokale könnte dieser Missbrauch zu mehreren Zehntausend falsch abgegebenen Stimmen geführt haben und damit einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis der Wahl gehabt haben.
Luthe: „Unmöglich, betrügerische Stimmabgabe durch Dritte nachzuweisen“
Unstimmigkeiten soll es auch aufgrund in der Post verschwundener Wahlbenachrichtigungen gegeben haben. So soll es bei der Wahl 2021 und auch bei der jüngsten Bundestagswahl zu mindestens einem Fall massenhaft verloren gegangener oder entwendeter Wahlbenachrichtigungen gekommen sein.
Einem Dortmunder Bürger, der keine Briefwahlunterlagen erhalten hatte, sei von der zuständigen Behörde geantwortet worden, man könne ihm weder den Eingang seiner Unterlagen bestätigen noch Auskunft geben, ob seine Stimme bereits abgegeben worden sei.
Luthe kommentiert, es sei so naturgemäß unmöglich, eine „betrügerische Stimmabgabe im Namen eines Dritten überhaupt nachzuweisen“. Er beklagt das Fehlen einer systematischen Wahlprüfung – denn nur mit einer solchen ließe sich überhaupt feststellen, ob die bekannt gewordenen Fälle Einzelfälle seien.
Das treffe auch auf Fälle zu, in denen Wahlberechtigte abgewiesen worden sein sollen, die angeblich bereits gewählt hatten. Als Beispiel nennt Marcel Luthe hier einen Fall in Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz.
Dort sei ein Wähler an seinem Wahllokal zunächst mit der Begründung abgewiesen worden, seine Stimme sei bereits abgegeben worden. Erst später habe er wählen können – es gebe Berichte über weitere solcher Fälle. Im Wahllokal in Bad Kreuznach seien mehr Stimmzettel zu finden gewesen, als Wähler vermerkt waren.
Deswegen fordert Luthe, ihm alle Niederschriften aus allen Wahllokalen zugänglich zu machen. Gerade dieser Wahlfehler verletze die „Integrität der Wahl in erheblicher Weise“, so der Vorsitzende der Good-Governance-Gewerkschaft.
„Wahlrecht in Berlin erstreckt sich auf Einwohner auf unseren Friedhöfen“
Zu weiteren Problemen führe, dass vor dem Versenden von Wahlbenachrichtigungen kein Abgleich mit dem Sterberegister stattfinde. Dies sei bereits bei der angefochtenen Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021 der Fall gewesen.
„Das Wahlrecht in Berlin erstreckt sich nach wie vor auch auf die Einwohner auf unseren Friedhöfen“, kommentiert Luthe. Dies sei auch bei der diesjährigen Bundestagswahl ein Problem gewesen, so die Wahlbeschwerde.
Mehr als 2,5 Millionen Wahlberechtigte seien bei dieser Wahl zusätzlich erfasst worden, die es Luthe zufolge eigentlich nicht geben dürfte. Das könnte das Ergebnis der fehlenden Abgleiche von Wahl- und Sterberegister sein.
Auch in diesem Fall fordert Marcel Luthe eine systematische Überprüfung, um Missbrauch auszuschließen. Der Berliner Zeitung sagt er: „Wie auch 2021 wird das planvolle Organisationsversagen nicht deutlich, wenn man nur Einzelfälle ohne Zusammenhang und Hintergrund betrachtet.“ 2021 war eine Wahlwiederholung der Abgeordnetenhauswahl in Berlin durchgeführt worden.
Auch die jüngste Bundestagswahl genüge nicht den „Ansprüchen des Grundgesetzes an demokratische Wahlen“.
Die Bearbeitung der Beschwerden durch den Wahlprüfungsausschuss kann Monate dauern. Erst, wenn diese abgewiesen wurden, kann eine Wahlprüfbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.
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